Der Psalm Iudica me
war noch nicht so verbreitet. Er gehört im späteren Mittelalter zahlreichen
Meßordnungen noch nicht an. Deshalb fehlt der Psalm noch heute in den Liturgien
der Kartäuser, der beschuhten Karmeliten und der Dominikaner, die ihre Ordnungen
im 13. Jahrhundert festgelegt haben und ihn den damaligen Schwankungen
entsprechend nicht aufgenommen haben. Jungmann berichtet, daß sogar noch auf
der ersten Generalkongregation der Jesuiten 1558 beschlossen wurde, auf den
Psalm zu verzichten. Erst das Missale Pius‘ V. machte den Psalm zur allgemeinen
Vorschrift, da es sich auf das Missale
Curiae stützte, das den Psalm kannte, ebenso wie die meisten italienischen
Meßbücher.
Während des ganzen Mittelalters blieb es vorherrschende
Regel, den Psalm Iudica me auf dem Weg zum Altar zu beten, wie es schon die
oben angeführte Rubrik des 10. Jahrhunderts festgesetzt hatte. „Noch nach dem
Missale Pauls III. konnte der Zelebrans ihn laut oder still auf dem Wege zum
Altar beten.“ Nur seltene Ausnahmen verlegen ihn bereits eindeutig an die
Stufen des Altares, meist dort, wo das Ankleiden oder das Anlegen der Kasel
am Altar geschieht. Daß das Missale
Pius‘ V. ihn entgegen der weit verbreiteten Gewohnheit an die Altarstufen verlegt,
hat wohl seinen Grund in der Tatsache, daß man dem Psalm ein sorgfältiges
Sprechen sichern und ihm mehr Gewicht geben wollte.
Doch auch nach der Kodifizierung durch Pius V. war der Ort
des Stufengebets - und damit auch des Psalms 42 - noch nicht überall an den
Stufen des Altares. So berichtet Pierre Lebrun noch 1716 über Sonderbräuche im
Frankreich seiner Zeit: „die einen machen sie in einer eigenen Kapelle, wie
man sie noch in Tours am Grab des
heiligen Martin macht, die anderen im Chor wie in Laon und Chartres, oder am
Eingang des Chorraums weit vom Altar wie in Soissons und Châlons-sur-Marne,
andere an der linken Seite des Altars beim Eingang, das heißt auf der
Evangelienseite, wie in Vienne und bei den
Kartäusern, die den Brauch aus dieser Metropole übernommen haben, andere
schließlich in der Sakristei wie in Reims.“
Seit dem 11. Jahrhundert wird dem Psalm die Antiphon
Introibo vorangestellt, die später, und bis heute, als Versikel behandelt wird.
Die Versikel Adiutorium nostrum erscheint bereits im Meßordo der päpstlichen
Kapelle um 1290. Das dem Taufbefehl Jesu entnommene Kreuzzeichen vor dem
Psalm ist erst seit dem 14. Jahrhundert vereinzelt nachweisbar.
(Martin Reinecke in: Dominus Vobiscum 10, 2015)
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