Montag, 15. Januar 2018

Das STUFENGEBET (7/15)



Der Psalm Iudica me war noch nicht so verbreitet. Er gehört im späteren Mittelalter zahlreichen Meßordnungen noch nicht an. Deshalb fehlt der Psalm noch heute in den Liturgien der Kartäuser, der beschuhten Karmeliten und der Dominikaner, die ihre Ordnungen im 13. Jahrhundert festgelegt haben und ihn den damaligen Schwankungen entsprechend nicht aufgenommen haben. Jungmann berichtet, daß sogar noch auf der ersten Generalkongregation der Jesuiten 1558 beschlossen wurde, auf den Psalm zu verzichten. Erst das Missale Pius‘ V. machte den Psalm zur allgemeinen Vorschrift, da es sich auf das Missale Curiae stützte, das den Psalm kannte, ebenso wie die meisten italienischen Meßbücher.

Während des ganzen Mittelalters blieb es vorherrschende Regel, den Psalm Iudica me auf dem Weg zum Altar zu beten, wie es schon die oben angeführte Rubrik des 10. Jahrhunderts festgesetzt hatte. „Noch nach dem Missale Pauls III. konnte der Zelebrans ihn laut oder still auf dem Wege zum Altar beten.“ Nur seltene Ausnahmen verlegen ihn bereits eindeutig an die Stufen des Altares, meist dort, wo das Ankleiden oder das Anlegen der Kasel am  Altar geschieht. Daß das Missale Pius‘ V. ihn entgegen der weit verbreiteten Gewohnheit an die Altarstufen verlegt, hat wohl seinen Grund in der Tatsache, daß man dem Psalm ein sorgfältiges Sprechen sichern und ihm mehr Gewicht geben wollte.

Doch auch nach der Kodifizierung durch Pius V. war der Ort des Stufengebets - und damit auch des Psalms 42 - noch nicht überall an den Stufen des Altares. So berichtet Pierre Lebrun noch 1716 über Sonderbräuche im Frankreich seiner Zeit: „die einen machen sie in einer eigenen Kapelle, wie man  sie noch in Tours am Grab des heiligen Martin macht, die anderen im Chor wie in Laon und Chartres, oder am Eingang des Chorraums weit vom Altar wie in Soissons und Châlons-sur-Marne, andere an der linken Seite des Altars beim Eingang, das heißt auf der Evangelienseite, wie in Vienne und bei den  Kartäusern, die den Brauch aus dieser Metropole übernommen haben, andere schließlich in der Sakristei wie in Reims.“

Seit dem 11. Jahrhundert wird dem Psalm die Antiphon Introibo vorangestellt, die später, und bis heute, als Versikel behandelt wird. Die Versikel Adiutorium nostrum erscheint bereits im Meßordo der päpstlichen Kapelle um 1290. Das dem Taufbefehl Jesu entnommene Kreuzzeichen vor dem Psalm ist erst seit dem 14. Jahrhundert vereinzelt nachweisbar.

(Martin Reinecke in: Dominus Vobiscum 10, 2015)


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