Donnerstag, 19. April 2018

Versteht Gott nur Latein? (2/2)

Ein Beitrag von Pater Dr. Sven Leo Conrad FSSP:

Die ursprüngliche Liturgiesprache war jene des Neuen Testaments, also das Griechische, und dieses hatte den Charakter einer Sakralsprache. Bemerkenswert ist die Beobachtung Mohrmanns, daß das Latein erst dann zur Liturgiesprache avancierte, als es als christliches Latein „so voll entwickelt“ war, „dass es auch fähig war, eine Sakralsprache zu bilden.“ Diese Erkenntnis der Linguistin widerspricht der oberflächlichen Behauptung, das Christentum habe ursprünglich nur die Volkssprache gekannt. Das Gegenteil ist der Fall. Erst als das spezifisch christliche Latein sakral genug war, wurde es zum sprachlichen Ausdruck des gottesdienstlichen Vollzugs. Vertiefte Studien zeigen zudem, daß das liturgische Latein „eine hochstilisierte Sprache“ war, „die der durchschnittliche römische Christ des fünften Jahrhunderts und späterer Zeiten kaum verstand.“ Der langsame Übergang zum Latein in einem Zeitraum von etwa 100 Jahren erfolgte „als Teil eines weitreichenden Bemühens …, die römische Kultur zu christianisieren.“ (Uwe Michael Lang). Insofern können wir die Entwicklung hin zur lateinischen Liturgiesprache als Teil derselben Bewegung verstehen, das spezifisch Römische des Ritus auszubilden, wie sie uns auch beim Gregorianischen Choral begegnet. Das Latein bewahrt das reiche kulturelle Erbe jenes Imperiums, unter dessen Herrschaft in der Fülle der Zeit (Gal 4,4) das Ewige Wort Mensch werden wollte. Hier verbinden sich „die altchristliche Weihe mit biblischer Grösse [sic!] und mit altrömischer gravitas zu einer Neuschöpfung“ (Mohrmann). Man ist geneigt, an das berühmte Zitat von Bundespräsident Theodor Heuss zu denken: „Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgotha, die Akropolis in Athen, das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muß sie als Einheit sehen.“ Sprache schafft Identität; hier geht es um die Identität des Glaubens und Betens des Abendlandes. Es berührt, zu wissen, daß wir große Teile des Canons der Messe mit materiell denselben Worten beten, die bereits der hl. Ambrosius (339-397) bezeugt. Es sind heilige Zeichen, die die Liturgie formen, Gottes Wirken vermitteln und veranschaulichen sowie unsere Gottesverehrung (Kult) ausdrücken. Das Latein ist ein solches Zeichen für die Heiligkeit Gottes, die Wirklichkeit der Kirche und jene kirchliche Tradition, die sich auf Rom gründet. Es ist insofern Teil des Römischen Ritus selbst. Auf dieser theologischen Grundlage können wir dann auch praktische Vorzüge sehen: Das Latein verändert sich nicht; der sprachliche Ausdruck bleibt dogmatisch präzise. Es ist unverständlich, daß die Kirche in einer zusammenwachsenden Welt das sprachliche Band ihrer Einheit aufgegeben hat. In Verfolgungszeiten war es Klerikern oft möglich, sich diskret auf Latein auszutauschen.
Die Kirchensprache will die Gläubigen nicht ausschließen. Es ist deswegen wichtig, in der Gemeinde die geeigneten Hilfsmittel zum Mitvollzug der Liturgie zur Verfügung zu stellen. Wer von Kindheit auf vorurteilsfrei mit dem Latein aufwächst, wird dem Ordinarium der Messe ein Leben lang folgen können. Gott versteht nicht nur Latein, aber diese Sprache eröffnet uns auf ihre Weise seine Welt.

[Quelle: Informationsblatt der Priesterbruderschaft St. Petrus (April 2018); S. 8-9]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen